13.02.2023

Perspektiven für die belgische Teppichbodenindustrie

Die belgischen Hersteller textiler Bodenbeläge stehen unter Druck. Werke müssen schließen, Firmen werden übernommen. Auswege aus der Krise können Kooperationen, die Fokussierung auf Qualität und Service sowie Spezialitäten sein.

Ein auf den ersten Blick düsteres Bild zeichnet die belgische Tageszeitung De Tijd in einem ausführlichen Bericht zur aktuellen Lage der Teppichbodenindustrie in Flandern. Zusätzlich zur bereits seit Jahren insgesamt sinkenden Nachfrage mussten sich die Hersteller zuletzt mit den Folgen des Brexit auseinander setzen: Großbritannien ist einer der wichtigsten Absatzmärkte der Belgier; durch den Austritt aus der Europäischen Union wurden die Exporte erschwert. Verstärkt werden die Probleme inzwischen durch die lahmende britische Wirtschaft, die dort wie auch im übrigen Europa herrschende Inflation und die damit verbundene Kaufzurückhaltung bei den Verbrauchern. Steigende Energie- und Rohstoffpreise, aber auch Personalkosten belasten die Bilanzen zusätzlich. Die beiden Corona-Jahre 2020 und 2021, in denen überdurchschnittlich viel Geld für Renovierungen und die Neugestaltung von Wohnräumen ausgegeben wurden, waren lediglich ein Intermezzo. 2022 gingen die Umsätze der Branche nach Angaben von De Tijd wieder um bis zu 30 % zurück.

Übernahmen, Schließungen, Produktionsverlagerung

Die Folgen sind deutlich zu sehen: Balta (Umsatz 2021: 634 Mio. EUR), einstmals größter Hersteller textiler Bodenbeläge in Europa, wurde zur Hälfte und inklusive der Marke an die britische Victoria Group verkauft, zu der seit 2022 auch Ragolle (abgepasste Teppiche) gehört und die nun ihrerseits zur europäischen Nr. 1 aufgestiegen ist. Die verbliebenen ehemaligen Balta-Marken ITC/Arc Edition, Modulyss und Bentley (nur in den USA) operieren jetzt unter dem Dach von Belysse (Umsatz 2021: 277 Mio. EUR).

Verschlankt hat sich auch die im Besitz der Familie Vanwynsberghe befindliche Mc Three Carpets-Gruppe. Sowohl die US-Tochter Orian Rugs als auch die türkische Firma Sofiteks wurden verkauft. Am Stammsitz in Waregem sind die Produktionskapazitäten gegenwärtig nur zu 65 % ausgelastet, wird Geschäftsführer Peter Desmet im Onlineportal „Made in“ zitiert.

Die Beaulieu International Group hat bereits die Garnproduktion nach Frankreich verlagert und schließt jetzt auch das Tuftingwerk von Ideal in Wielsbeke. Eine rentable Fortführung des Geschäftsbereiches sei vor dem Hintergrund einer anhaltenden Marktverschiebung nicht möglich, hieß es zur Erklärung. Ohnehin entfalle auf getuftete Teppichböden nur noch ein geringer Anteil am Gesamtumsatz des Konzerns; der lag 2021 bei 2,5 Mrd. EUR, davon 968 Mio. EUR mit Bodenbelägen – neben Tuftingware vor allem Nadelvlies, Kunstrasen, Matten, elastische Beläge, Parkett und Laminat.

Auch die Garnfabrik von Balta in Avelgem ist Geschichte. „Der Markt erholt sich zwar, aber teure Energie ist wahrscheinlich der neue Normalzustand in Europa. Wie die hohen Arbeitskosten in Belgien kann man auch das nicht zurückdrehen“, erklärt Philippe Hamers, CEO des neuen Eigentümers Victoria, in De Tijd die teilweise Verlagerung der Produktion in die Türkei.

Im Jahr 2001 zählte die Textilindustrie in Flandern noch 1.100 Betriebe – die Mehrheit davon direkt oder indirekt mit der Herstellung textiler Bodenbeläge befasst. 2021 hat sich die Anzahl auf 515 mehr als halbiert, berichtet die Tageszeitung. Hat die belgische Teppichbodenindustrie vor diesem Hintergrund noch eine Zukunft?

Größer werden, hochwertig anbieten, Nischen finden

Ja, meint der ehemalige Balta-CEO Hendrik Deruyck, ebenfalls in De Tijd. Zwar werde der Kuchen kleiner, könnten große Firmen nur überleben, wenn sie noch größer werden, bis nur noch einige wenige übrig bleiben. „Aber für diese wenigen Unternehmen sehe ich eine gute Zukunft.“

Es muss ja nicht gleich eine komplette Übernahme sein. So hat sich etwa die weltweit produzierende Belgotex-Gruppe – zu ihr gehören unter anderem die beiden Tufter Associated Weavers in Belgien und Balsan in Frankreich – an Lano beteiligt. Bei dem inhabergeführten Hersteller von Teppichböden und Kunstrasen mit Zentrale in Harelbeke war man schon länger auf der Suche nach einem Partner, um eben nicht von einem Großen geschluckt zu werden. Unter der Überschrift „Lano bleibt Lano“ stellt CEO Joe Lano dazu auf Linkedin fest: „Die kombinierte Erfahrung und das Wissen der Gesellschafter können in dem heutigen schwierigen wirtschaftlichen Klima nur von Vorteil sein und zu einer soliden Grundlage für die kommenden Jahre beitragen.“

Der Weg aus der Krise scheint auch über Diversifikation zu führen. Hier kann wieder die Victoria Group als Vorbild dienen, deren Sortiment konzernweit inzwischen neben textilen auch elastische und keramische Bodenbeläge sowie Kunstrasen und Unterlagen umfasst. „Ich schätze, dass der Absatz von Weichbodenbelägen im Vereinigten Königreich seit dem Sommer um 10 bis 15 % und in Europa um 25 % gesunken ist. Aber das wird durch Keramikböden ausgeglichen“, so CEO Hamers. Auch Belgotex ist breit aufgestellt, wenn auch ausschließlich im textilen Segment. Die Gruppe produziert ihr Polyamidgarn selbst und ist spätestens mit dem Einstieg bei Lano auch am lukrativen Geschäft mit Kunstrasen beteiligt.

In De Tijd sprechen sich Joe Lano und Karla Basselier, Geschäftsführerin des Branchenverbands Fedustria, außerdem dafür aus, den Fokus auf hochwertige Ware zu legen. Lano zieht den Vergleich mit dem Biermarkt: „Er ist insgesamt rückläufig, aber der Absatz von Bierspezialitäten steigt.“ Basselier meint: „Die belgischen Unternehmen sollten nicht versuchen, mit China und der Türkei über Mengen und niedrige Preise zu konkurrieren, sondern über Qualität, Spezialitäten und Service.“

Und dann bleibt noch die Nische. Hendrik Deruyck steht nach seiner Zeit bei Balta heute an der Spitze von Mercury Flooring. Das Unternehmen bietet Teppichfliesen und Kunstrasen an, hat sich aber auf Schmutzfang spezialisiert. „Wir stellen Fußmatten her, die sich selbst reinigen können“, erläutert Deruyck. Der Umsatz ist 2022 um knapp 9 % auf 40 Mio. EUR gestiegen.



Belysse setzt auf vier Marken

2022 hat die britische Victoria Group die Marke Balta sowie die Geschäftsbereiche Rugs, Residential Polypropylene und Non-Woven übernommen. Die verbliebenen Marken ITC (Teppichböden/-fliesen für den Wohnbereich)/Arc Edition (Teppichböden für das Objekt), Modulyss (Teppichfliesen für das Objekt) und Bentley (Teppichböden/-fliesen nur in den USA) agieren inklusive eigener Garnproduktion jetzt unter dem Dach der Holdinggesellschaft Belysse. Produziert wird in den belgischen Werken Tielt und Zele sowie in Los Angeles in den USA. Der Umsatz der vier Marken lag 2021 bei 277 Mio. EUR.



Beaulieu International Group ist breit aufgestellt

Nachdem der belgische Industrielle Roger De Clerck die Firmen seines Teppichboden-Imperiums 1991 unter seinen sechs Kindern aufgeteilt hatte, formierten sich 2005 Teile der Unternehmen wieder zur Beaulieu International Group. Seitdem hat sich das Portfolio deutlich erweitert. Aus Produktionsstätten in 17 Ländern beliefert die Firmengruppe ihre Kunden heute mit Teppichböden und Nadelfilz, Kunstrasen, CV (Beauflor), Designbelägen, Parkett und Laminat (Berry Alloc). Mit 968 Mio. EUR machten Bodenbeläge 2021 aber nur einen Teil des Konzernumsatzes von 2,5 Mrd. EUR aus. Der Rest wird in den Geschäftsbereichen Engineered Solutions (Garne, Fasern, technische Textilien), Polymers (Homo-/Copolymere, Hohlkammerplatten) und mit Polsterstoffen verdient.



Belgotex produziert international

Belgotex ist im Besitz des Ehepaars Stephan Colle und Ann De Clerck. Anders als ihre Geschwister, hat die Tochter des belgischen Industriellen Roger De Clerck die von ihrem Vater geerbten Unternehmen nicht in die Beaulieu International Group eingebracht, sondern selbstständig weitergeführt. Zur Firmengruppe gehören Produktionsgesellschaften für textile Bodenbeläge, Deko- und Möbelstoffe in Australien, Südafrika und Brasilien sowie ein Werk für Polyamidgarne (Nyobe) im belgischen Kruishoutem, außerdem Associated Weavers (Teppichböden) in Belgien und Balsan (Teppichböden/-fliesen) in Frankreich. Minderheitsbeteiligungen bestehen an der Beaulieu International Group (Teppichböden, Nadelvlies, Kunstrasen, elastische Beläge, Parkett, Laminat) und Lano (Teppichböden, Kunstrasen).
 Perspektiven für die belgische Teppichbodenindustrie
Foto/Grafik: Ragolle
Noch laufen die Textilmaschinen in Flandern; aber diese Weberei von Ragolle gehört jetzt zur britischen Victoria Group.
Eurodecor
Eurodecor
FussbodenFUXX
FussbodenTechnik

Kontakt
  • Kontakt Redaktion
  • Kontakt Anzeigen
  • Kontakt Leserservice

Branche

Verlag